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endstation

    Sie war lange unterwegs, weiß nichts vom Anfang und kennt nicht das Ende, doch das hier ist eine Endstation. Hier, wo sie ist, ist sie tief unten, im Abgrund, am Rand. Vielleicht war sie auch schon immer hier.

    Zwischen den Ruinen bahnt sich etwas seinen Weg, das an diesen Ort gehört und lässt alles miteinander verschmelzen. Vielleicht waren diese Ruinen auch schon immer hier. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass sie mal etwas anderes waren. Etwas, das ihr zutiefst vertraut vorkommt und es fühlt sich so an, als wären sie mal das Etwas gewesen, was sie hergebracht hat. Jetzt hat es seine Aufgaben beendet.

    Etwas anderes schleicht durch die Atmosphäre. Sie weiß nicht, ob sie es oder es sie oder sie sich gegenseitig beobachten. Die Wesen durchlaufen ihren Körper und sie spürt das Donnern und tiefe Dröhnen der sie umgebenen Natur.

    Nichts an diesem Ort kennt sie, für nichts kann sie einen Namen finden und doch ergibt alles Sinn. Irgendwann ertönt, verzerrt von der Zeit, ein lauter Warnschrei und berührt jedes Teilchen an diesem Ort. Danach weiß sie, dass ihre Reise weitergeht.

    In den Ruinen findet sie eine Information. Sie beinhaltet Erinnerungen, die sie wie eine Tablette hinunterschluckt und Bilder und Gedanken breiten sich in ihrem Körper aus. Langsam verändert sich ihre Wahrnehmung und die Bilder überschneiden sich mit dem, was um sie herum geschieht. Sie kann die Welt jetzt beschreiben und spürt gleichzeitig den Schmerz der Erinnerungen.

    Vor ihr ist ein See, der in einen halben Wasserfall verläuft und das Wasser zirkuliert in sich selbst. Der Himmel ist grau und sie spürt, wie klimpernde Staubkörner an ihrem Körper vorbeistreifen.

    Nach unbestimmter Zeit erreicht sie das Wasser. Es ruht kalt und von einem dunklen Schimmer durchzogen in einer Schlucht. Lange starrt sie es an.

    Dann verwandelt sich seine Farbe in ein strahlend trübes Türkis. Wellen schlagen mit zunehmender Höhe an das Ufer und überschwemmen die Landschaft.

    Nach drei Überschwemmungen zieht sich das Wasser zurück und hinterlässt eine trockene Landschaft, die gleichmäßig von Pocken überzogen ist. Eine Pocke platzt auf und aus ihr tritt ein Nebel, bestehend aus perfekt gerundeten Partikeln. Instinktiv entfernt sie sich von der Landschaft. Alles an diesem Ort kann giftig und ungiftig sein.

    Sie hat sich von einem beklemmenden Gefühl weitertreiben lassen. Vor ihr erstreckt sich ein pflanzenloser Wald, der in sich gedreht und von einem Nebel durchzogen ist. Hinter dem Sichtbaren baut sich ein Schatten auf.

    Durch den Nebel, vom Schatten ausgehend und auf sie zu, bewegen sich zart leuchtende Fäden. Ihre suchenden Bewegungen gleiten behutsam durch die Welt, ohne Berührungen, als wollen sie nur sehen, als wäre alles aus explosivem Glas.

    Dann, für einen scheinbar kurzen Moment, bleiben sie stehen. Etwas ruft etwas. Ein dumpfer Schall gleitet durch die Atmosphäre und lässt alle Substanzen zittern. Sie spürt das Vibrieren tief in ihrem Körper und dieses Vibrieren wird in ihrer Lebenszeit nicht mehr verschwinden.

    Das Verschwinden des Nebels lässt sie sehen, dass hier weder Oben noch Unten definiert ist. Verschiedene Wesen bewegen sich an dem, was sie als Boden benennt. Doch der Boden ist auch das, was sie als Decke wahrnimmt. Die Wesen scheinen unabhängig vom Konzept einer Richtung diese Welt zu besiedeln. Zwischen den Decken und Böden schimmert Luft hindurch. Dort geht es weiter, es ist nicht das Ende.

    Sie sehnt sich nach einem sicheren Ort und kehrt zu den Ruinen zurück. Auch mit den Bildern der Vergangenheit weiß sie nichts über diesen Ort und kann nichts zuordnen, nicht einmal sich selbst. Ihre Aufgabe ist in den Gewässern und Wesen verloren gegangen.

    Etwas hat sich in den Ruinen niedergelassen. Alleine sitzt es dort, als würde es seine Reise nicht mehr kennen. Wahrscheinlich haben die Ruinen auch das Etwas hergebracht. Vielleicht kennen sie sich und haben einander vergessen.

    Im Raum verbreitet sich ein rot orangener Schimmer, der durch eine überall präsente Linse scheint. Sie hält die Linse und das Licht sinkt tief, bis es in einem Dunkelrot verschwindet.

    Dann lässt der Ort die Kühle und Dunkelheit des Universums durch. Das Wasser gefriert, auf jeder Oberfläche bildet sich eine glitzernde Kruste und die Organismen stehen still. Sie kann sich nicht mehr bewegen, nur noch sehen und hören.

    Ein Kribbeln durchläuft sie und Müdigkeit überfällt die Welt. In ihrem Blickfeld erscheint ein Schatten, der zu ihr flüstert. Immer wieder wiederholt er seine Nachricht in einer Sprache, die sie nicht versteht. Und dann erinnert sie sich daran, dass das hier die Endstation ist.

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