Zum Inhalt springen

destilysion v2

    placebreaker_2_c_e
    placebreaker_4_c_e
    placebreaker_1_c_e
    placebreaker_12_c_e
    placebreaker_2_c_e placebreaker_4_c_e placebreaker_1_c_e placebreaker_12_c_e

     

    Ich wache in einem Wald aus verschlungenen Pflanzen und leuchtenden Blüten auf. Ihr Licht pulsiert grün und der Boden ist aus weichem Moos. Mein Herzschlag gleicht sich dem Pulsieren an und ich kann den süßen, beißenden Duft der Blüten riechen. Bis auf einen schmalen Weg ist alles zugewachsen. Es regnet und die Luft steht still. Ich versuche durch die Baumkronen, Blätter und Äste zu schauen, aber sobald das Licht der Blüten erlischt, stehe ich im Dunklen da. Ich gehe weiter geradeaus und spüre jeden meiner Sinne in mir. Ein paar herunterhängende Zweige streifen meine Wangen wie scharfe Messerklingen. Die Farben der Pflanzen brennen in den Augen und stechendes Kreischen dringt durch meine Ohren. Schweiß tropft aus allen Poren und ich glaube, jeden Moment zu ersticken. Sie sind mir erst nicht aufgefallen, so unscheinbar sitzen sie zwischen den Blättern. Die haarigen Kreaturen ohne Gesichter erzählen mir von dem Geist und alles, was sie erzählen, wird Wirklichkeit. In dieser Welt ist der Körper verschwunden. In dieser Welt gibt es keine Erinnerungen. In dieser Welt gibt es keine Zeit. Die Kreaturen sind gefangen und vielleicht waren sie mal wie ich oder ich werde bald wie sie. Der Geist erscheint leise und plötzlich. Er war schon immer da, hinter mir, beobachtete mich, steuerte meine Sinne, sodass ich ihn nie sehen konnte. Jetzt schimmert seine Silhouette in meinem Augenwinkel. Er verfolgt mich. Mit jedem Schritt kommt der Geist näher und mit jedem Näherkommen sinke ich tiefer in das Moos. Bis mich der Geist packt und Körper, Zeit und Raum zurückkehren.

    Durch den Nebel erkenne ich Gebäude. Sie stehen in endlosen Reihen und gleichen Abständen hintereinander, nebeneinander. Alles ist eine Kopie von sich selbst. Hier gibt es kein Leben und trotzdem habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Jeder Tropfen im Nebel ist ein Auge. Meine Hände reiben über den harten Boden. Für eine lange Zeit wage ich es nicht, mich zu bewegen. Irgendwann stehe ich auf und gehe zu einem Gebäude. Die Tür lässt sich öffnen und ich stehe in einem etwa zwanzig Quadratmeter großen Raum. Bis auf einen Stuhl und ein Fenster an der gegenüberliegenden Wand ist er leer. Der Geruch von frischer Farbe durchdringt die Luft und als ich eine der Wände anfasse, bleibt etwas von der Farbe an meinen Fingern kleben. Ich gehe in unzählige Räume und immer ist es das gleiche Zimmer, hinter jeder Tür, in jedem Gebäude. Ich habe versucht, den Stuhl umzustellen, die Farbe von den Wänden zu kratzen oder die Fensterscheibe einzuschlagen. Sobald ich kurz wegschaue, ist alles wieder wie vorher. Dann nehme ich den Stuhl, bringe ihn nach draußen, setze mich darauf und lasse die Abweichung nicht mehr los. Zuerst passiert nichts. Langsam fängt etwas an, über meine Haut zu kriechen. Am Anfang ist es nur ein leichtes Kribbeln, aber schnell wird es zu einem schmerzenden Beißen. Der Nebel saugt sich an meinen Armen fest und Blut läuft aus kleinen Löchern. Die Tropfen sind zu Eis geworden und bohren sich in meine Haut, wollen mich dazu zwingen, loszulassen. Der Nebel ist wütend über die Veränderung im System. Als es fast nicht mehr auszuhalten ist, stürzt die Welt in sich zusammen.

    Wann hast du das erste Mal das Meer gesehen? Ich schaue auf die Wellen hinaus und begreife, dass alles nur ein Traum ist. Eine Konstruktion aus Erinnerungen und Gedanken. Die Sonne steht knapp über dem Horizont und leuchtet tiefblau. Das Schilf wird zu Eiszapfen und knistert leise im Wind. Der Sand ist Schnee. In der Gischt finde ich Muscheln und als ich nach ihnen greife, werden meine Hände nicht nass und der Sand bleibt nicht an meiner Haut hängen. Ich gleite einfach durch die Realität hindurch. Auch die Sonne bleibt still an ihrem Ort stehen. Vielleicht wartet sie auf etwas, bevor sie untergehen kann. Ich drehe die Muscheln in meiner Hand hin und her. Das Wasser auf ihren Schalen glitzert und gefriert in der Kälte. Auf dieser neuen Schicht erscheinen Wörter. Die Muscheln erzählen die Geschichte von einer Sonne und ihrem Planeten. Ich sehe Bilder vor mir aufklappen. Der Planet ernährte sich vom Licht der Sonne und die Sonne von den Seelen des Planeten. Sie waren Teil einer Galaxie, die von Dunkelwolken durchzogen war. Doch dann zerbrachen die Wolken. Ihr Schmerz wurde zu einem Virus, das Sterne befiel und zerfraß. Mit dem Sterben der Sterne kam auch der Tod für ihre Planeten. Die Sonne wusste, welches Schicksal sie erwartete. Um sich vor der Infektion zu schützen, musste sie selbst zu einem Planeten werden. Also hörte sie auf zu leuchten. Langsam wuchs eine Eisschicht über ihre Oberfläche und die ihres Planeten. Alles gefror, Licht und Seelen wurden im Schnee begraben. Ich schaue zurück auf das Meer, doch inzwischen ist die Sonne untergegangen.

    Etwas packt und reißt mich aus der Dunkelheit. Ich hänge in einem Netz, während unter mir die Lichter einer Stadt flackern. Das Netz breitet sich über den ganzen Himmel aus und Fäden führen zu einzelnen Gebäuden. Eine Kreatur erscheint. Mühelos gleitet sie über die Fäden. Ihre zwei langen Arme streichen um das Netz und mit einer eleganten Bewegung zerschneidet sie die Fäden. Ein Beben schwingt durch die gesamte Konstruktion. Dort, wo nun ein Loch ist, beginnt die Kreatur neue Verbindungen zu weben. Aus den zerstörten Fäden tropft milchige Flüssigkeit und ein Ticken hallt durch die Atmosphäre. Als ich auf einen neuen Faden klettere, verändert sich die Stadt unter mir. Die Gebäude sind keine Reihenhäuser mehr, sondern Holzhütten. Die Asphaltstraßen versinken in Erde, Laternen verwandeln sich in Bäume. Ich zögere. Als sich meine Hand um den milchigen Strang vor mir legt, werden die Schlammwege von Beton überzogen. Straßen verlagern sich in die Luft, aus Beige wird Grau, Holz verschmilzt zu Zement und Kerzen verformen sich zu Neonröhren. Die Häuser sind jetzt Wolkenkratzer, umhüllt von Glas und Metall. Mein Herz rast und mir wird schwindelig. Der nächste Faden führt zum Boden, ein Ausweg. Doch als ich an ihm hinunterklettern will, verschwinden die Gebäude, Straßen und Lichter. Ich schaue in eine dunkle Wüste hinab. Ein Donnern lässt den schwarzen Sand unter mir zittern. Die Kreatur beobachtet mich nun schon eine ganze Weile. Ich will wegrennen, doch ihre spitzen Arme greifen nach meinem Körper, stechen durch mein Fleisch und hüllen mich in einen schleimigen Kokon.

    Der Schatten empfängt mich kurz vor der Realität. Er erzählt von einem Ort, den er zerbrochen hat, doch ich erinnere mich an keinen Ort. Nur die Teile schwirren in meinen Erinnerungen. Im Kern der Scherben liegt eine Murmel, klein und zerbrechlich. Ich zerstöre sie nicht. Das ist mein Ticket zurück in diese Welt.

    error: All rights reserved!